Astrid Sänger

Interview - noch drei Leporello-Bilderbücher

Redakteurin Myriam H.
im Gespräch mit
Astrid Sänger
Ende Oktober 2021

Myriam: Astrid, in Deinem Verlag Beim Storchennest hast Du weitere Leporello-Bilderbücher herausgegeben. Du bist nicht nur Autorin und Illustratorin der bibliophilen Werke, Du hast auch jedes selbst von Hand gebunden. Erzähle uns, warum!

Astrid S.: Danke, Myriam, dass Du wieder zu einem Interview hier bist!
Ich glaube, dass der Offsetdruck auf qualitativ hochwertigem Papier die gemalten Bilder in der Vervielfältigung am schönsten darstellt.
Er ist relativ teuer und erst ab einer gewissen Bestellmenge möglich, denn für jeden Papierbogen werden extra Aluminiumplatten als Druckformen hergestellt.
Zudem sind im Druckerei-Angebot vorgefertigte Vorlagen für gebundene Bücher erst ab mindestens 48 Seiten zu finden, also entschied ich für meine zumeist 28-seitigen Bilderbücher, ganze Druckbögen zu bestellen und die Fertigstellung selbst in die Hand zu nehmen.

Myriam: Ist das nicht für eine Keramikerin ein gewagter Schritt in einen völlig anderen Handwerksbereich?

Astrid S.: Auch Malerei, Texte und Reime haben neben meinem Hauptberuf Platz. Ich wähle beim künstlerischen Gestalten einfach die Medien, die mir gerade passend erscheinen. Die Liebe zur Sprache und zu Büchern waren schon vor meiner Ausbildung zur Buchhändlerin, und dann zur Keramikerin, immer dabei. Die Keramikobjekte sind manchmal mit Stickereien, Collagen und Buchstaben kombiniert.
Das Leimen der Buchdeckel und der Leporello-Innenteil ist von der großen und traditionsreichen Kunst des Büchermachens erst ein kleiner Anfang, erlernt habe ich das durch Tutorials, Sachbücher und zerlegte Anschauungsobjekte.

Myriam: Ein Jahr nach den ersten Veröffentlichungen sieht man: das ist kein vorübergehender Spleen! Es gibt jetzt schon sieben Leporello-Bilderbücher.
Erzähle uns doch gleich von dem zweisprachigen Märchen, dem die Leporellofaltung bei 38 Seiten sogar besonders gut steht!

Astrid S.: Das ungarische Märchen „Az égig érő fa – Der himmelhohe Baum“ war ein mehrere Monate langes Projekt. Bei der Übersetzung aus einem ungarischen Märchenbuch dachte ich nach, wie ein dreiköpfiger Drache auf einem schwarzen Pferd und vor allem ein mit glühenden Kohlen gefütterter, alter Gaul zu interpretieren seien. Dann, nach Recherchen über die Technik der Dampffahrzeuge, kam mir die gruselige Geschichte plausibler vor.
Zuerst hatte mich, weil ich Bäume mag, der Titel neugierig gemacht. Das Leporello-gefaltete Buch erhält hier eine neue Dimension: der Baum ist so groß gewachsen, dass er DREI Seiten überspannt, der bedrohliche Flugdrache kann über VIER Seiten aufgeblättert werden, was bei im Buchrücken vernähten Büchern nicht möglich ist.

Myriam: Das dampfbetriebene Automobil hat die Fortbewegung zu Pferde abgelöst und die Dampfmaschine hat das Industriezeitalter eingeläutet. Wie Du es siehst, hat Jancsi, der Held des Märchens, in der Zeit des Umbruchs allerlei technisches Verständnis bewiesen. Ist es das, womit Du Dich indentifizierst?

Astrid S.: Ja, das ist ein guter Vergleich! Der Fortschritt beschleunigt sich und ich hinke der aktuellen Entwicklung des Digitalen Zeitalters bereits nach. Was ich auf künstlerische Art noch beitragen kann, ist meine persönliche Betrachtungsweise und eine Rückbesinnung auf das, was es schon alles gegeben hat.

Myriam: So ist wohl auch das Bilderbuch „Bunte Buchstaben“ zu verstehen.
Deine Reimgeschichte über geschnitzte Erdäpfel, mit denen die bunten Texte gedruckt sind, macht Lust zum Basteln.

Astrid S.: Ich fände es schön, wenn die Reime und Bilder zu wirklichem Drucken von geschnitzten Erdäpfeln anregen würden, und wenn Erwachsene und Kinder dabei eine kreative, nicht-digitale Zeit miteinander verbringen.

Myriam: Mehrere als Hauptmotiv gezeichnete, tätige Hände machen Deine Botschaft deutlich.
Nun, alle guten Dinge sind Drei. Jetzt sag noch, bitte, etwas über das dritte neue Buch: „Wie aus dem Zwölefant der Elefant wurde“. Wie wurde er das denn?

Astrid S.: Die Zahl Zwölf ist etwas Besonderes, sie ist durch VIER andere Zahlen, sowie durch Null und Eins teilbar. Für den Zwölefanten ist das, wie sich zeigt, kein Vorteil. Nach einer Rechen-Eskapade ist er besser dran, ein „unteilbarer“ Elef-ant zu sein, ein „Primzahl-Tier“.
Die Reimgeschichte erfand ich schon vor einiger Zeit. Sie gehört für mich mit „Der hungrige Fuchs“ zusammen. Die eine ist mit Buchstaben kreativ, die andere mit Zahlen. Beide kann man sicher schon Volksschulkindern zumuten, sofern auch die betreuenden Erwachenen Spaß damit haben.

Myriam: Da sprichst Du das Thema meiner letzten Frage an: man denkt bei Bilderbüchern gleich an Kinder als Zielgruppe. Unter der Überschrift in Deiner Website nennst Du sie „Bilderbücher für Erwachsene und fast alle auch für Kinder“. Ist das bei den drei neuen Werken ebenso?

Astrid S.: Zuerst sollen die Leporello-Bilderbücher den Erwachsenen überzeugen, der dafür das Geld ausgibt. Ob er sie dann zu seiner bibliophilen Sammlung stellt, ob er sie im Seniorenheim vorliest oder seinen Kindern oder Enkeln weiterschenkt, das bleibt jedem selbst überlassen. Ich würde mich freuen, wenn etliche auch in Kinder- und Klassenzimmern zum Einsatz kämen.

Myriam: Danke für das Gespräch, Astrid!
Weihnachten, die Zeit des Bücherschenkens, kommt auf uns zu. Ich freue mich, dass ich bei Dir ganz un-industrielle und exklusive Geschenkbände bekomme. Jeder Band der sieben Leporello-Bilderbücher ist von Hand signiert und nummeriert.

Lesen Sie auch das erste Bilderbuch-Interview mit Myriam H. und Astrid Sänger:

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